Helene - ermordet von den Nazis
SM
Meine Ur-Großtante Helene Heyer wurde im Sommer 1941 in Hadamar von den Nationalsozialisten ermordet. Erfahren habe ich das nur durch Zufall, denn über ihr Schicksal wurde in ihrer Familie nie geredet.
Am 28. Januar 2025 hat der Deutsche Bundestag einen Antrag verabschiedet, dass Menschen, die wie Helene der sogenannten „NS-Euthanasie“ zum Opfer fielen, und diejenigen die von den Nazis zwangssterilisiert wurden als Verfolgte des NS-Regime anzuerkennen sind.
Der Antrag fordert auch, dass die Geschichte der NS-Euthanasie besser erforscht werden soll. Grund genug sich für Ahnenforscher auf die Suche zu machen und den Opfern ihren Namen zurückzugeben. Auch wenn die Recherche oft langwierig und schwierig ist.
Eines Tages fand ich auf Ancestry.de die Todesurkunde meiner Ur-Großtante. Ich hatte aus Unterlagen meines Großvaters gewußt, dass Helene 1941 gestorben war. Aber das, hatte ich nicht geahnt: Ausgestellt war das Dokument nicht in Helenes Heimatstadt Leer, sondern hunderte Kilometer weiter südlich in Hessen, Ausstellungsort Hadamar.
Ich wunderte mich. „Da war doch was?“, dachte ich mir und begann zu recherchieren. Schnell stellte sich heraus, dass Helene tatsächlich in der Tötungsanstalt Hadamar ihr Leben verloren hatte. Wie konnte es sein, dass die Frau eines bürgerlichen Lokalpolitikers, hier qualvoll sterben musste. Stück für Stück setzte ich Helenes Geschichte zusammen.
Helene, geboren 1894 im ostfriesischen Leer war zunächst Lehrerin. Ihren Beruf musste sie 1917, als sie den Sozialdemokraten Rudolf Heyer heiratete, aufgeben. Als Lehrerin durfte man damals nicht verheiratet sein. 1922, nach der Geburt ihres ersten Sohnes, gründete sie die Arbeiterwohlfahrt in Leer, engagierte sich gerade in den Jahren der Wirtschaftskrise für die Unterstützung der Ärmsten und wurde schließlich sogar in den erweiterten Kreisvorstand der Arbeiterwohlfahrt gewählt.
Doch als die Nazis 1933 die Macht ergriffen, nahm ihr aktives Leben, jäh ein Ende. Die Familie war von Hausdurchsuchungen und Repressionen betroffen. Und Helene begann unter Panikattacken und Angst zu leiden. Ihre gute Freundin die Schriftstellerin Wilhelmine Siefkes, beschreibt diese Zeit eindrücklich in ihren Erinnerungen.
Die Nazis hielten diese Leiden für eine ererbte Krankheit. Ein Arzt wies Helene 1936 in die Heil- und Pflegeanstalt Osnabrück ein, wo die Ärzte eine „Schizophrenie“ diagnostizierten. Wie ich heute weiß eine sehr typische Diagnose für die Opfer. Im April 1941 wurde Helene zunächst nach Eichberg verlegt und dann in die Tötungsanstalt Hadamar gebracht.
Helene ist nur eines von rund 300.000 Opfern, die von den Nazis in der sogenannten „Euthanasie“ ermordet wurden, dazu kommen weiter rund 100.000 Opfer, die von den Nazis zwangssterilisiert wurden. Bis heute sind ihre Geschichten oft nicht aufgearbeitet. Dabei sind bei diesen Zahlen sicher viele Familien betroffen.
Wer sich selbst auf die Suche machen möchte, kann zum Beispiel im Bundesarchiv in Berlin fündig werden. Dort wurde eine Liste derjenigen Menschen veröffentlicht, deren Krankenakten das Archiv hält.
Eine weitere Seite, die an die Opfer erinnert, ist Gedenkort-t4, eine Projektseite, die mit Bildern und Biographien an die Opfer erinnert und Recherchetipps gibt. Viele weitere Schicksale und Bilder findet man auf der Webseite NS-Euthanasie.
Allerdings: Die Listen sind nicht vollständig, viele Krankenakten wurden vernichtet. Das heißt also, bei der Recherche nicht aufgeben, falls sich in der Liste der Name der besuchten Person nicht findet.
Bis heute sind öffentlich nur ein Bruchteil der Namen bekannt. Manche Schicksale tauchen einfach nur auf, weil Angehörige einem Gerücht in der Familie nachgehen. Oder - wie in meinem Fall - weil ein irritierender Todesort auf der Sterbeurkunde steht.